BIFA-Interview bei LORA: Afghanistan

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Hier das Interview bei der Freidenker-LORA-Sendung am 5.7.2010

Stefan befragt Ulla ...


Ulla ist seit Jahrzehnten politisch aktiv, ursprünglich in der Anti-Apartheidbewegung, seit einigen Monaten auch in der BIFA – der Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstung, die auch aktiv im Münchner Friedensbündnis mitarbeitet.

Ulla, du kennst die umstrittenen Äußerungen von Horst Köhler. Neun Jahre nach dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes benannte er diesen als Krieg oder kriegsähnlichen Zustand oder bewaffneten Konflikt. Wie kam es denn überhaupt dazu, dass die Bundeswehr in Afghanistan aktiv wurde?

Ausgangspunkt waren die Anschläge auf das WTC und das Pentagon am 11. September 2001.

In seinem Beileidsschreiben, unmittelbar nach den Anschlägen, erklärte der damalige Bundeskanzler Schröder seine bedingungslose Solidarität mit den USA. Er sah darin seine Chance für einen Militarisierungsschub.

Die USA machten sofort Bin Laden für die Terroranschläge verantwortlich und forderten von der Talibanregierung in Afghanistan seine Auslieferung.

Die afghanische Regierung war bereit, ihn an ein neutrales Land auszuliefern, aber nicht in die USA. In weiteren Verhandlungen stellte die UNO jedoch genau diese Bedingung, die Afghanistan nicht hinnehmen konnte. Als Rache für diese mögliche verdächtigte Person, wurde dann ein Volk in Haft genommen. Die USA griffen Afghanistan an und erklärten die Angelegenheit zum NATO-Bündnisfall, d.h. dass die Nato-Bündnispartner sich an den Kriegshandlungen beteiligen müssten.

Dies wurde mit UNO-Resolutionen untermauert. Die Bundesregierung hätte natürlich die Möglichkeit gehabt, sich auf das Grundgesetz zu berufen, welches Auslandseinsätze der Bundeswehr untersagt. Aber der SPD-Bundeskanzler Schröder verband die Entscheidung des Bundestages über die militärische Hilfe mit der Vertrauensfrage und somit wurde im Dezember 2001 im Bundestag unter der damaligen SPD-Grünen-Regierung die Entsendung von Bundeswehrtruppen beschlossen.

Bin Laden wurde in Afghanistan nie gefunden, dennoch werden Truppen entsandt und aufgestockt.

Wie jeder Krieg begann auch dieser mit einer Lüge. Als deutlich wurde, dass der Kriegsgrund eine Täuschung war, wurden humanitäre Gründe in den Vordergrund gestellt. Die Bevölkerung, besonders die Frauen, sollten vor den fundamentalistischen Taliban geschützt werden oder allgemein die Menschenrechte verteidigt werden. Die Lage der Bevölkerung hat sich seit dem Sturz der Taliban nicht verbessert. Das Land hat die höchste Kindersterblichkeit der Welt, 43 Prozent der Mädchen unter 15 Jahren werden verheiratet. Mehr als 70 Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein Drittel der Bevölkerung leidet an Unterernährung.

Für den weiteren Einsatz werden jetzt der Drogenhandel, die zügellose Korruption und die Transferierung von westlichen Hilfsgeldern durch afghanische Regierungsangestellte genannt. Dafür befinden sich 150 000 ausländische Soldaten in einem harten Kampf (SZ-Beilage 5.7.2010) so der neue Oberbefehlshaber Petraeus.

Berichte über bombardierte Hochzeitsgesellschaften u.Ä. legen den Schluss nahe, dass der Terror nicht aus Afghanistan kommt, sondern von westlichen Mächten dorthin gebracht wird. Welches Interesse steckt deiner Meinung nach dahinter?

Die wirklichen Gründe für den Krieg sind militärische Machtpolitik und geostrategische Interessen. Afghanistan ist ein Land in geostrategischer Firstclass-Lage inmitten der rohstoffreichsten Region der Erde, in unmittelbarer Nachbarschaft zum aufstrebenden China, Russland und dem Iran.

Wie schon in den verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 dargelegt und am 4. Dezember 2002 anlässlich des Afghanistan-Einsatzes von dem damaligen SPD-Verteidigungsminister Struck hervorgehoben, wird die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auch am Hindukusch verteidigt.

Erst kürzlich wurden diese reichen Rohstoffreserven in den Medien benannt. Was könnten „unsere” Soldaten in Afghanistan (vor-)finden?

Das neue an der Nachricht ist, dass das Pentagon die Rohstoffvorkommen als Kriegsgrund hervorhebt und nicht wie bisher Sicherheits- oder Menschenrechtsfragen.

Die genannten Gründe für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan erscheinen sehr fadenscheinig, kein bisher angestrebtes Ziel der Einsätze wurde erreicht. Hinzu kommt, dass das Grundgesetz der BRD Einsätze der Bundeswehr im Ausland ausdrücklich nicht vorsieht.

Das die vorgeblichen Ziele nicht erreicht werden ist nicht verwunderlich, weil sie ja nur vorgeschoben sind. Die wirkliche Lage in Afghanistan interessiert die Kriegstreiber nicht. Grundsätzlich geht es den Herrschenden dabei um die militärische Vormacht in Europa in der EU und der NATO und um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Auch die von der Regierung so viel beschworene "zivil-militärische Kooperation" wird von den zahlreichen regierungsunabhängigen Entwicklungsorganisationen vehement abgelehnt. Das Leben der Entwicklungshelfer wird durch die Nähe zum Militär faktisch gefährdet. Das Militär ist kein Teil der Lösung, sondern das Problem. Das Dilemma ist durch mehr Militär nicht lösbar, sondern nur durch dessen Abzug.

Wie naiv muss man sein, um glauben zu können, dass die USA selbst nach erfolgter Übergabe an ihnen ergebene Afghanen das Land verlassen. Wir sagen, es geht in Afghanistan nicht um Terrorbekämpfung, es geht um nackte Machtpolitik.

In der Friedensbewegung spielt das Thema Afghanistan seit Jahren eine wichtige Rolle, so waren auch in diesem Jahr bei den Aktivitäten gegen die sog. Nato-Sicherheitskonferenz, bei den Ostermärschen und vielen anderen Gelegenheiten Aufrufe zum Abzug aller Soldaten aus Afghanistan laut und deutlich sichtbar.

Laut Umfragen von Meinungsforschungsinstituten sind über 60 % der Bevölkerung gegen den Bundeswehreinsatz und lehnen den Krieg ab. Zu diesem Ergebnis kam auch die CIA und zusätzlich zu der Erkenntnis, dass die Bevölkerung sich nicht dagegen wehrt, das dies aber nicht dauerhaft so bleiben muss. Daher entwickelt sie medienwirksame Kampagnen für die Bedrohungslage, damit die Bevölkerung weiterhin den Krieg toleriert.

Die Friedensbewegung setzt dagegen: Dieser Krieg ist eine Sackgasse, aus der es nur einen Ausweg gibt: Den Krieg in Afghanistan beenden, zivil helfen. Dies ist auch der Aufruf der bundesweiten Friedensbewegung zu einer Unterschriftensammlung, die in diesen Tagen angelaufen ist. Wir rufen die Bevölkerung auf, sich diesem Protest anzuschließen, den Aufruf zu unterzeichnen und sich für den Frieden weltweit zu engagieren.

Wir, die BIFA, rufen weiterhin auf, sich gegen die zunehmende Militarisierung unseres Landes zu wehren, gegen die Bundeswehreinsätze im Innern, gegen Rekrutenwerbung an Schulen und in Arbeitsämtern, gegen die Bedingung, nur dann einen Ausbildungsplatz zu bekommen, wenn man sich nach der Ausbildung zur Bundeswehr verpflichtet.

Wir sind seit Beginn kontinuierlich gegen diesen Krieg vorgegangen haben mit Broschüren, Zeitungen, Flugblättern informiert, veranstaltet regionale Demonstrationen mit vorbereitet und durchgeführt und uns an überregionalen Demonstrationen beteiligt.

Würde der Bundestag den Willen der Mehrheit der Bevölkerung vollstrecken, müsste er die Bundeswehr aus Afghanistan sofort zurück holen.

Angesichts der immensen Aufgaben vor allem im sozialen und Bildungsbereich wäre dieses Geld dort besser angelegt.

Für die Menschen in Afghanistan bedeuten die Einsätze - in einem der ärmsten Länder der Welt (sieht man mal von den Rohstoffen ab) – täglich neues Leid, für die BRD zunehmende Militarisierung der Gesellschaft und grundgesetzwidrige Einsätze. Insbesondere das Führen von Kriegen für ökonomische Interessen ist indiskutabel – deshalb hätte Köhler dazu auch nichts sagen dürfen. Professionelle Politiker müssen von humanitärer Hilfe sprechen, wenn sie Wirtschaftsinteressen meinen. Adorno sagte: Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.

Der neue Bundespräsident sparte konsequenterweise das Thema Frieden bei seiner Antrittsrede ganz aus.

(weiter wieder bei der Freidenker-Sendung selbst)