Raus aus Afghanistan ...

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... mit der Bundeswehr anfangen.

Die Münchner Freidenker sind regelmäßig in Radio LORA mit einem Beitrag vertreten. Der Rücktritt des Bundespräsidenten - und insbesonder der Auslöser für den Rücktritt - brachte das Thema Afghanistan in den Vordergrund. Das - und die aktuell angelaufene bundesweite Unterschriftenversammlung dazu - gab dann Anlass, auch die BIFA darüber zu interviewen - und hier kann man es nachlesen ...

Hallo und guten Abend zur Sendung der Münchner Freidenkerinnen und Freidenker auf Radio Lora, München.

Mein Name ist Stefan Baumgärtner.

Was ist der Freidenkerverband?

Der Freidenkerverband ist:
Weltanschauungsgemeinschaft, in der geistigen Tradition der Aufklärung, von Philosophen wie Hegel, Feuerbach und Marx.
Interessenvertretung für Konfessionslose und Atheisten, der sich konsequen für die Trennung von Staat und Kirche sowie Schule und Kirche einsetzt.
Kulturorganisation: „Kultur ist wie der ganze Mensch lebt“. Das ist für uns Anspruch und Programm.
FreidenkerInnen treten ein gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Militarismus, Kapitalismus und Faschismus, für die Emanzipation des Menschen.


Jingle Zum Lachen in den Keller gehen (Link weg :( )

„Merkels Blamage“, Präsident im dritten Wahlgang ... titelten die Münchner Boulevard-Zeitungen am 1. Juli zur Wahl des Bundespräsidenten. Nur bei Heinemann und Herzog hatte es bisher einen dritten Wahlgang gebraucht.
Die SZ kommentierte am folgenden Tag unter dem Titel:
Merkel, Wulff und die Krise in der Koalition Konkurrenzlos schlecht
Dass Christian Wulff erst im dritten Anlauf zum Bundespräsidenten gewählt wurde, ist symptomatisch für das schwarz-gelbe Siechtum. Nahezu nichts in dieser unseligen Koalition gelingt auf Anhieb. Die Kanzlerin lernt eines aus dem Debakel: Die Gefährlichkeit der eigenen Leute ist manchmal größer als die des politischen Gegners.
Es hat wohl noch nie eine Koalition gegeben, die nach so kurzer Zeit so sehr an sich selbst gelitten hat wie die von Union und FDP. Selbst jene Koalitionäre, die das Lamento über das Kollektiv des Versagens nur für den Ausfluss unverhältnismäßiger Übertreibung hielten, müssen seit der Wahl des neuen Bundespräsidenten mindestens die Existenz eines dualen Systems einräumen: Die harsche veröffentlichte Meinung über das Desaster der Koalition wird genährt, ach was, gemästet von deren unfassbarer Lust an masochistischer Selbstzerstörung.
Nur der Münchner Merkur vermerkt, dass Wulff laut einer Umfrage in der Bevölkerung mit guten Beliebtheitswerten starte.
Die heutige Radio-Lora-Sendung wird sich nicht mit der Frage beschäftigen, welcher Bundespräsidentenkanditat nun der bessere gewesen wäre, es geht vielmehr um die Frage, wie es überhaupt zu diesen Neuwahlen kam, warum Horst Köhler sein Amt aufgab oder aufgeben mußte.


Song: "Pete Seeger – Waist Deep in the Big Muddy" selber suchen :(

Wie kam es dazu, dass ein Bundespräsident, der sich nicht übermäßig in der Öffentlichkeit profilierte, seinen Rücktritt erklärte?

Köhler wurde 1943 in Polen geboren, seine Familie lebte zunächst in einem sog. Umsiedlungsgebiet, später in einem Auffanglager, sie flüchteten beim Einrücken der Roten Armee 1945 Richtung Westen. In der DDR lebte die Familie bis zur geplanten Kollektivierung der Landwirtschaft 1953, erneut ergriff die Familie die Flucht – Horst Köhler kam in seine, wie er selbst es empfand, Heimatstadt Ludwigsburg. Er selbst hatte sich nie als „Vertriebenen“ bezeichnet.
Von 1963 bis 1965 leistete er den Wehrdienst ab und blieb weitere sechs Monate Zeitsoldat bei einem Panzergrenadierbataillon. Er studierte dann in Tübingen Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften und promovierte dort auch 1977.

1976 begann dann seine Karriere als Beamter im Wirtschafts- und Finanzministerium.
1990 wurde er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. In diesem Amt war er unter anderem Unterhändler beim Vetrag von Maastricht und der deutschen Wiedervereinigung, die Wärungsunion wurde maßgeblich von ihm gestaltet.

1993 wurde er Präsident desDeutschen Sparkassen- und Giroverband und anschließend der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung .
Im Jahr 2000 wurde Köhler, auf Vorschlag von Bundeskanzler Gerhard Schröder , zum Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) bestellt. Diese Funktion hatte er bis zum 4. März 2004, inne.
Am 23. Mai 2004 wurde Horst Köhler aufc Vorschlag von CDU / CSU und FDP zum Bundespräsidenten gewählt. Dieses Amt trat er am 1. Juli 2004 an. Am 23. Mai 2009 wurde er mit 613 Stimmen im ersten Wahlgang für eine weitere Amtsperiode wiedergewählt.

Am 31. Mai 2010 erklärte er mit folgenden Worten seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten:

Meine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres sind auf heftige Kritik gestoßen. Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.

Seinen Rücktritt bezeichnete die SZ als die „Flucht des Null-Bock-Horst“. Weiter hieß es in dem Artikel, Köhler werfe hin und füge damit dem Amt des Bundespräsidenten großen Schaden zu. Er trete ab, weil er beleidigt sei und sich der Debatte nicht stellen wolle. Zitat: „Dies offenbart: der hölzerne Köhler war bemüht und überfordert.“

Offensichtlich stellt es eine Überforderung dar, wenn ein Politiker ungeschminkt ausspricht, was ist, aber nicht sein sollte.


Köhler hatte wohl auch zuvor – obwohl er sicher nicht als ”Linker” verschrieen war, allzu ungeschminkt an der einen oder anderen Stelle seine Sicht der Dinge vertreten. So sagte er laut Wikipedia 2005:

„Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir in Deutschland jetzt eine politische Vorfahrtsregel für Arbeit. Was der Schaffung und Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze dient, muss getan werden. Was dem entgegensteht, muss unterlassen werden. Was anderen Zielen dient, und seien sie noch so wünschenswert, ist nachrangig.“

„Politische Vorfahrtsregel” - das klingt doch sehr nach staatlicher Einmischung in die „Freiheit” der Arbeitgeber, Arbeitnehmer/innen nach ihren ureignen Interessen ein- und auszustellen.

Weiter weigerte er sich ein Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung auszufertigen – und das, wo doch der Grundsatz gilt: jede Privatisierung ist zu begrüßen.

Köhlers Aussagen seit der Finanzkrise 2007 für eine Regulierung und „Bändigung“ der Finanzmärkte und des „Finanzkapitalismus“ dürften große Teile der Mächtigen ebenso wenig erfreut haben wie seine Weigerung, den Vertrag von Lissabon sofort zu unterzeichnen.

So verwundert es nicht, dass dieser Bundespräsident, der sich selbst gerne als einer mit „Ecken und Kanten” - nicht jedoch wie die SZ „hölzern” sehen wollte, sich mit seinen Äußerungen im Deutschlandradio endgültig ins politische Aus begab. Seinen Rücktritt versuchte niemand aus der großen Koalition oder der CDU aufzuhalten, Rückendeckung erfuhr Köhler an keiner Stelle, wohl aber die Zustimmung der Partei „Die Linke“ zu den Inhalten seines Interviews. Köhlers Rücktritt erscheint nicht als die beleidigte Geste eines überforderten Politikers. Die Mächtigen in diesem Land – ob in Politk oder Wirtschaft – konnten einen Bundespräsidenten, der unschöne Wahrheiten beim Namen nennt und Kanzlerin Merkel nicht bedingungslos unterstützt, nicht weiter gebrauchen. Das macht aus Köhler keinen fortschrittlichen Politiker, aber eben auch keinen Feigling.


Song: Der Deserteur (zum Nachlesen mehr dazu)

Ende Mai 2010 wurde Köhler während des Rückfluges von einem Truppenbesuch in Afghanistan vom Deutschlandradio interviewt, am 22. Mai wurden Auzüge daraus gesendet. Die Passagen, die dann den Anlaß für Köhlers Rücktritt lieferten lauten:

Ricke: In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht, weil wir uns inzwischen in einem Krieg befinden. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?
 
Köhler: Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. Wir brauchen den Diskurs weiter, wie wir sozusagen in Afghanistan das hinkriegen, dass auf der einen Seite riesige Aufgaben da sind des zivilen Aufbaus - also Verwaltung, Korruptionsbekämpfung, Bekämpfung dieser Drogenökonomie -, gleichzeitig das Militär aber nicht alles selber machen kann. Wie wir das vereinbaren mit der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Abzug der Truppen.
Ich glaube, dieser Diskurs ist notwendig, um einfach noch einmal in unserer Gesellschaft sich darüber auszutauschen, was eigentlich die Ziele dieses Einsatzes sind. Und aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten, mit anderen Nationen auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen, einer Resolution der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Und ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.
 
Ricke: Muss sich Deutschland daran gewöhnen, dass Soldaten, die in einem bewaffneten Konflikt stehen - manche nennen es einen Krieg - auch tot aus dem Einsatz nach Deutschland zurückkommen?
 
Köhler: Wir haben ja leider diese traurige Erfahrung gemacht, dass Soldaten gefallen sind, und niemand kann ausschließen, dass wir auch weitere Verluste irgendwann beklagen müssen. Ich habe mich davon überzeugen können in Masar-i-Scharif, dass von der militärischen Führung wirklich jede Professionalität und Gewissenhaftigkeit sowohl in der Frage der Ausbildung als auch der Ausrüstungsbedürfnisse vorhanden ist. Aber es wird wieder Todesfälle geben, nicht nur bei Soldaten, möglicherweise auch durch Unfall mal bei zivilen Aufbauhelfern. Das ist die Realität unseres Lebens heute, wo wir einfach zur Kenntnis nehmen müssen: Es gibt Konflikte. Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren.
 
Mir fällt das schwer, das so zu sagen, aber ich halte es für unvermeidlich, dass wir dieser Realität ins Auge blicken. Deshalb halte ich es auch nach der Diskussion über den Begriff Krieg oder kriegsähnlichen Zustand oder bewaffneter Konflikt für ganz normal, wenn die Soldaten in Afghanistan von Krieg sprechen, und ich habe es auch für normal gehalten, dass ich auch in dem Gespräch mit ihnen dann nicht eine verkünstelte andere Formulierung gewählt habe.

zitiert nach dem Transkript des Interviews auf der Website des Deutschlandradios:


Köhlers Einschätzung war kein „Tabubruch”, sondern die klare Benennnung dessen, was seit neun Jahren in Afghanistan passiert: Krieg mit deutscher Beteiligung. Nicht das Aussprechen dieser Tatsache ist grundgesetzwidrig, sondern das Verhalten der Bundeswehr, ihrer Generäle, des sogenannten. Verteidigungsamtes und der Regierungskoalition. An dieser Stelle sei angemerkt, dass dies ebenso für die große Koalition davor galt und gilt. Und auch die Grünen/Bündnis 90 können ihre Verantwortung für den ersten „richtigen” Krieg, der wieder von deutschem Boden ausging, den Angriff auf das ehemalige Jugoslawien, nicht vor dem Grundgesetz rechtfertigen.

Deutschland befindet sich also im Kriegszustand, ohne einem anderen Land offiziell den Krieg erklärt zu haben. Deutschland führt einen Krieg außerhalb seiner territorialen Grenzen, der keinesfalls als Verteidigung gegen einen Angriff von außen angesehen werden kann. Mit dem Grundgesetz wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig die Lehre gezogen: Angriffskriege sind nicht mit der Verfassung vereinbar. Deutschland führt Krieg. Für seine wirtschaftlichen Interessen, zur Sicherung der Ressourcennachschübe.

All dies ist nicht neu, aber es darf eben nicht von einem Repräsentanten benannt werden. Dabei stellen es v.a die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 unmissverständlich fest und gehen auch darüber hinaus.


Interview: Stefan befragt Ulla von der "BIFA":
Ulla, du kennst die umstrittenen Äußerungen von Horst Köhler. Neun Jahre nach dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes benannte er diesen als Krieg oder kriegsähnlichen Zustand oder bewaffneten Konflikt. Wie kam es denn überhaupt dazu, dass die Bundeswehr in Afghanistan aktiv wurde?

...da gehts weiter mit dem BIFA-Interview (Ulla)


Wie Ulla bereits erwähnt hat, ging vor einigen Tagen die Meldung, Geologen hätten in Afghanistan riesige Mineralienvorkommen entdeckt, durch die Medien. Laut „New York Times „liegen in Afghanistan über das ganze Land verstreut abbaubare Rohstoffe im Wert von etwa einer Billiarde Euro, unter anderem Eisen, Kupfer und Gold. Aber auch Erdöl und Gas, wenn auch in relativ kleinen Mengen, und vor allem: Lithium. Ein Metall, das aus modernen Akkus für Mobilgeräte wie Laptops oder Handys nicht mehr wegzudenken ist. Ein Sprecher des Pentagon, das zusammen mit dem dem US-Innenministerium unterstellten „United States Geological Survey“ die Untersuchung durchführte, äusserte die Prognose, Afghanistan könnte das „Saudi Arabien des Lithiums“ werden. Es wurden bereits erste Befürchtungen geäussert, die „Konkurrenz“ in Gestalt Chinas könnte versuchen, Abbaurechte zu gewinnen und damit die schöne Kriegsbeute wegschnappen.

Interessanterweise stellen die Medien es so dar, als wären diese Vorkommen neu entdeckt und kämen völlig überraschend. Auf der Website des USGS ist aber bereits 2007 ein Bericht zu finden, der von großen Mineralvorkommen spricht. Dieser Bericht nennt zwar wenige Zahlen, ist aber eindeutig in der Aussage, dass es sich um reiche Vorkommen handelt.
Die Zahlen, die er nennt zitiert er wiederum aus einem Bericht des afghanischen Bergbauministeriums aus dem Jahr 1977. Wirklich neu und überraschend...
Genauso überraschend ist die Tatsache, dass 1979 der erste Afghanistankrieg begann....


Natürlich wollen wir noch auf unsere kommenden Veranstaltungen hinweisen. (aktuell siehe auch BIFA-Termine)

Informationen zu den Veranstaltungen und über den Freidenkerverband gibt es während der Bürozeiten freitags, 15-18 Uhr im Freidenkerzentrum in der Fleischerstr. 3 (Nähe U Poccistr.) telefonisch unter 76 85 03 oder unter www.muenchen.freidenker.org
Wer nähere Informationen zu den Freidenkern haben möchte, kann sich auch per email an uns wenden, Die Adresse ist:
muenchen@freidenker.de

Die nächste Freidenkersendung im Forum aktuell bei Radio LORA München auf 92.4 läuft erst am 4. Oktober 2010. Wir haben unseren Sendeplatz getauscht, vom ersten Montag in den ungeraden Monaten zum ersten Montg der geraden Monate.

Verantwortlich für diese Sendung und Sprecher war Stefan Baumgärtner. Weitere Sprecherin Christiane Kröll. Vielen Dank an Ulla von der BIFA für das Interview.

Dank auch an Inge Knoeckel für Mitarbeit bei der Vorbereitung und an die Technik hier bei Radio LoRa.