Einige Anmerkungen zu Geschichte und Traditionspflege der Gebirgsjäger
1. Die Geschichte der Gebirgsjäger bis 1945
1915 wurden die Gebirgsjäger gegründet.
Ein Teil der Truppe blieb in der Weimarer Republik erhalten als Teil des 100 000 Mann Heeres, das der Versailler Vertrag zuließ.
1935 Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht wurden in Oberbayern Gebirgsjägereinheiten aufgestellt.
1938 Die 1.Gebirgsjägerdivision wird in der neu errichteten Kaserne in Mittenwald stationiert (nach der Annektion Österreichs).
Die Wehrmacht verfügte über 11 Gebirgsjägerdivisionen, die an allen Fronten und in allen von der Wehrmacht besetzten Gebieten eingesetzt wurden. „Einsatz“ hieß aktive Teilnahme am NS-Vernichtungskrieg. Nach der Recherche des Historikers Stefan Stracke wurden an 58 Orten von Gebirgsjägern Massaker verübt.
Beispiel: Das Vorgehen der 5.Gebirgsjägerdivision auf Kreta:
1941 erfolgte die deutsche Invasion Kretas, die Bevölkerung leistete Widerstand gegen die Besatzer. Nach der Tötung von Wehrmachtssoldaten durch griechische Widerstandskämpfer haben Soldaten der Gebirgsjägerdivision eigenmächtig, ohne Befehl Erschießungen und Geiselnahmen von Zivilisten vorgenommen. Nach griechischen Angaben wurden ca. 2000 Zivilisten ermordet.
Die Gebirgsjäger können sich nicht auf „Befehlsnotstand“ berufen. Zum Zeitpunkt der Erschießungen lagen weder Befehle der NS-Machthaber noch des eigenen Kommandanten vor. Erst nachträglich ordnete der Kommandant der 5.Gebirgsdivision die Geiselnahme von Männern (im Alter von 18-55 Jahren) an und das Anzünden von Häusern in Ortschaften. Die Massaker wurden mit der „Kollektivhaftung“ der Bevölkerung „gerechtfertigt“.
Bei den Nürnberger Prozessen wurden einige Gebirgsjäger zur Verantwortung gezogen, z.B. Hubert Lanz, General der Gebirgsjägertruppe. Er war verantwortlich für die Pogrome gegen Juden und Jüdinnen in Lemberg. 1947 wurde Lanz zu 12 Jahren Haft verurteilt, jedoch schon 1951 freigelassen.
2. Die historische Bewertung der Wehrmacht
Die US-Militärführung hat seit Beginn des Kalten Krieges, noch vor der Gründung der Bundesrepublik, folgendes Bild der Wehrmacht entwickelt:
Die Wehrmacht sei unschuldig an den Verbrechen des Dritten Reichs.
Mit dieser Konstruktion einer „sauberen Wehrmacht“ konnte die Wehrmacht als Vorbild für die Bundeswehr erhalten bleiben.
Erst in den 80-Jahren begann in der Geschichtswissenschaft die kritische Wehrmachtsforschung. Historiker belegten, dass die Soldaten Widerstandsmöglichkeiten und Handlungsspielräume besaßen und entkräfteten so den Hinweis auf den „Befehlsgehorsam. Auch die These von „Einzeltätern“ in der Wehrmacht wurde widerlegt. In der Öffentlichkeit kam diese Revision der Geschichtswissenschaft nicht an.
1995 löste die Wehrmachtsausstellung (erarbeitet von dem Historiker Hannes Heer u.a.) eine Debatte aus. In dieser Ausstellung wurde die Wehrmacht als aktive Vollstreckerin des NS-Vernichtungskrieges dargestellt und die von der Wehrmacht begangenen Massaker an der Zivilbevölkerung öffentlich diskutiert.
3. Die Haltung der Justiz der Bundesrepublik zu den Gebirgsjägereinsätzen im 2. Weltkrieg
In der Zentralstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg sind Ermittlungsverfahren gegen mehrere Hundert Gebirgsjäger dokumentiert, bis auf einen Fall kam es in der Bundesrepublik zu keiner Verurteilung.
2008 begann in München der Prozess gegen Josef Scheungraber, ehem. Leutnant der Gebirgsjägertruppe. Wegen seiner Beteiligung am Massaker der Gebirgsjäger in Falzano di Cortona im August 1944 war er 2006 in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Scheungraber lebte als angesehener Bürger in Ottobrunn, die Gemeinde hatte ihm die Ehrenbürgerwürde verliehen.
In einem sehr sorgfältig begründeten Urteil wurde er vom Münchener Gericht in 1. Instanz verurteilt.
4. Die Traditionspflege der Gebirgsjäger in Mittenwald
1952 wurde der „Kameradschaftskreis der Gebirgstruppe e.V.“ gegründet. Niemand wurde von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, auch in Nürnberg verurteilte Straftäter nicht, wie der oben erwähnte Hubert Lanz, der bis zu seinem Tod Ehrenvorsitzender des Kameradschaftskreises blieb.
Seit 1957 führt der Kameradschaftskreis in Mittenwald am Hohen Brendten seine Pfingsttreffen durch. An den Gedenkfeiern nehmen neben den Gebirgsjägerveteranen Bundeswehrsoldaten und Repräsentanten der NATO teil. Die Bundeswehr liefert nicht nur die Infrastruktur, sondern beteiligt sich aktiv am größten Traditionstreffen in der BRD.
Man will „vor allem das Andenken an die Toten der beiden Weltkriege in Ehren halten, die Tradition der Gebirgstruppe wahren und die Kameradschaft ehemaliger Gebirgssoldaten über die Grenzen hinweg pflegen“.
Der Kameradschaftskreis hat durchgesetzt, dass in von Deutschland überfallenen Staaten, z.B. in Griechenland, Denkmäler für Gebirgsjäger errichtet wurden und versammelt sich auch dort zum Totengedenken. Tote Gebirgsjäger werden als Kriegsopfer gesehen, allerdings werden die Opfer der Gebirgsjäger, d.h. die von ihnen Ermordeten, „ausgeklammert“.
Obwohl auf den Gebirgsjägertreffen in Mittenwald Hakenkreuzorden öffentlich gezeigt wurden, erschien dieses Treffen den wenigsten als verwerflich.
Unbeachtet blieb in Mittenwald die Traditionsrichtlinie, die Verteidigungsminister Apel (SPD) 1982 erließ. In dieser noch heute gültigen Richtlinie heißt es, dass „ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich Traditionen nicht begründen könnte“.
Trotz dieses Erlasses wurde der Austausch zwischen Ehemaligen und aktiven Gebirgsjägern von der Bundeswehr gewünscht.
Erst 1995 wurde die Kaserne in Mittenwald umbenannt. Bis dahin trug sie den Namen eines Kriegsverbrechers, des Generals Ludwig Kübler.
2001 bescheinigte Edmund Stoiber, Mitglied des Kameradschaftskreises, den Gebirgsjägern „eine unangreifbare Traditionspflege, die in der aufgrund unserer Geschichte insgesamt traditionsarmen Bundeswehr ihresgleichen sucht.“
5. Proteste
Gegen diese Sicht Stoibers regte sich Widerspruch. Seit 2002 gab es Proteste gegen die Pfingsttreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald. Die Polizei ging sehr restriktiv gegen die Demonstranten vor.
Es entstand eine bundesweite Kampagne mit dem Motto „angreifbare Traditionspflege“. Gemeinsam mit dem VVN, griechischen und italienischen Aktivisten aus den Regionen, in denen die Gebirgsjäger Massaker verübt haben, entwickelten sich vielfältige Protestformen. Ein großer Teil der Bürger Mittenwalds und der Medien reagierten ablehnend. Sie sahen in den Demonstranten Störer und potentielle Straftäter, die von der Polizei präventiv überwacht und eingeschüchtert werden dürfen.
Seit 2006 wurde das Gebirgsjägertreffen vorverlegt, um dem Tourismusgeschäft an den Pfingsttagen nicht zu schaden.
2009 errichteten die Demonstranten auf einem öffentlichen Platz in Mittenwald ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der Gebirgsjäger. Auf einen Stahlfuß sind in einem Glaskasten Steine aufgeschichtet. Diese Steine stammen aus den Trümmern des Hauses in Falzano di Cortona, in dem 1944 italienische Geiseln durch Gebirgsjäger ermordet wurden. Die Gemeinde Mittenwald ließ dieses Denkmal wenige Tage nach der Aufstellung entfernen.
Allerdings scheinen die Proteste mittlerweile doch Wirkung zu haben. 2010 wandte sich der Bürgermeister von Mittenwald an die Aktivisten der Kampagne „angreifbare Traditionspflege“. Nach Verhandlungen über den Standort wurde das Denkmal vor einer Grund- und Hauptschule errichtet.